1.09.2011

Kapitel 3: Immer noch auf See

Ein tiefes Tuten begrüßt Amrum.

Die Fähre nähert sich dem Hafen, der auf einer Landzunge liegt. In der Mitte der Fläche steht ein blauweißes Gebäude. Das ist keine griechische Hafenspelunke, wie Linus vermutet, sondern der Sitz der WDR. (Natürlich von der Reederei und nicht vom Fernsehsender.) Damit die Autos vom Schiff kommen, müssen sie jetzt nur noch zu einem der drei blauen Metalltore kommen, die große Stahlrampen tragen.

Den Weg dahin markieren Holzstangen, die senkrecht aus dem Wasser ragen. Einige haben Reisigbündel ans Ende gebunden, als sei ein ganzes Hexen-Geschwader mit ihren Besen geradewegs in die Hafenzufahrt gestürzt und im Schlick stecken geblieben. Die anderen Stangen waren mal Birken, denen man eine kleine Krone gelassen hat. Die restlichen Äste sind fort. Nur ein paar kümmerliche Zweige mit einigen trockenen Blättern recken sich am Ende nach oben.

Howard und Lausebär stupsen sich die ganze Zeit an und zwinkern sich verschwörerisch zu.

„Das wär´s. So einen müssten wir am Strand finden,“ flüstert Howard seinem Freund ins Ohr.

„Ja, das wäre optimal... Aber der ist sicher ganz schön schwer.“

„Aber hallo!“ Howard hebt begeistert die Stimme.

„Wie lang die wohl sind?“ Auch Lausebär packt die Aufregung.

„Na so acht bis zehn Meter bestimmt. Kommt darauf an, wie tief die im Wasser stehen.“ Howard versucht, mit seinem Blick das Meer zu durchdringen.

Lisa will auch wissen, worüber die beiden reden: „Was ist tief im Wasser? Und was wollt ihr am Strand?“

Ihre große Strandplanung wollen die beiden noch nicht verraten, aber den Rest kann man der Kleinen ja sagen.

„Wir reden über die Pricken.“ Howard deutet auf die Stangen im Wasser.

Da ist schon wieder so ein komisches Wort. Lisa hat den Verdacht, dass an der Küste alles irgendwie anders heißt. Können die nicht einfach alles normal benennen, so wie sie?

„Was sind denn diese Pricken?“

„Das sind Pinkelbäume für Seehunde,“ trötet Linus dazwischen.

„Und sie zeigen den Weg zum Anleger,“ ergänzt Howard, der Linus nicht korrigieren will. Schließlich kennt der Bärenjunge die Seehundgeschichte von ihm.

Lisa traut sich schon gar nicht mehr zu fragen, sicher lauern da schon wieder so viele Küstenworte. Sie kann sich die Frage aber auch sparen, da Linus seine Kenntnisse auch so blitzen lässt.

„Der Anleger ist der Pier. Oder die Mole. Oder ein Steg. Oder ein Kai. Oder...“ Lisa winkt unwillig ab, sie will nicht immer neue Worte für das Unbekannte. „Schluss mit den Kai-Uwes. Was ist denn nun ein Anleger?“

„Der Anleger ist da, wo die Fähre anlegt,“ wirft Howard schnell ein.

Anlegen am Anleger, das klingt so sanft und bedächtig. Lisa weiß noch, wie es gerade in Föhr gewesen ist. Die Fähre hat sich mit ordentlich viel Schwung im Hafenbecken gedreht und ist dann mit einem lautem, tiefen „Dong“ an ein paar Metallpfähle gehauen. Die sind dick mit Gummi gepolstert. Und nachdem das Schiff noch ein paar Mal gegen die Pfähle gerummst ist, liegt es wohl endlich richtig. Dann ist es nur noch an den Gummis lang gescheuert, bis es dicht genug an dieses blaue Tor rangekommen ist und die Metallrampe mit lautem Rumpeln auf das Autodeck gehauen werden konnte. Das hat aber keinen von der Besatzung aufgeregt. Die machen das wohl immer so. Eigentlich sollte man das Ganze lieber Anrempeln statt Anlegen nennen. Mal sehen, ob es diesmal anders wird.

Das Schiff nähert sich im weiten Bogen der Stahlrampe. Plötzlich wird die Fahrt ruppig. Das Summen geht in ein immer heftigeres Brummen über. Die Fähre verliert an Fahrt. Die Diesel bellen auf, der grüne Metallboden beginnt zu vibrieren. Dann Ruhe. Die Schiffsmotoren springen wieder an. Die Pfähle am Anleger wandern jetzt nach vorne raus. Sie fahren rückwärts.

Erneut rappelt das Schiffsdeck. Die Motoren werden lauter. Wieder Stop.

„Wir haben Voll-Ebbe.“ Das nautische Genie spricht.

„Voll? Der Hafen sieht leer aus. Hier gibt es noch nicht mal Wasser.“

Lisa versteht dieses Wasser-Kauderwelsch immer noch nicht.

„Sage ich ja. Das Schiff ist aufgelaufen,“ schnauft Linus. Kleine Schwestern kapieren doch gar nichts.

„Auf was?“ Muss sie ihm alles aus der Nase ziehen?

„Auf Grund.“

„Ja?...Linus, auf was für einen Grund?“ Lisa pufft ihren kleinen Bruder in die Seite, damit er weiterspricht.

„Schlick. Um wieder flott zu werden, müssen die jetzt Gewicht loswerden.“

„Gewicht loswerden?“ In Lisas Kopf schwirren die Fragen. Wie geht das denn verloren? Kann das Schiff dünner werden? Gibt es dafür auch Schlankheitskuren? Muss die Besatzung nun hungern? Dauert das nicht schrecklich lange?

Linus kennt einen besseren Weg: „Am besten werfen sie Ballast über Bord. Zum Beispiel die Feriengäste.“

„Das ist nicht wahr.“ Lisa weicht einen Schritt zurück. Aber Linus packt ihre Pfote.

„Doch! Und immer Frauen und Kinder zuerst. Das ist ein altes Gesetz der Seefahrer. Sie fangen mit den kleinen Mädchen an. Weil die ja Frauen und Kinder zugleich sind.“

„Das ist doch nicht wahr, oder?“ Lisa schaut sich sicherheitshalber um, ob die Besatzung tatsächlich die Fahrgäste zur Reling treibt. Die Männer in den roten WDR-Jacken bleiben aber ganz ruhig. Sie scheinen noch Zeit zu haben.

Anna mustert Linus von der Seite. Er treibt es wieder zu arg mit der kleinen Bärin. Marie hat zum Glück nicht zugehört. Bevor Anna dazwischen gehen kann, hat die Fähre wieder Fahrt aufgenommen. Diesmal kommt sie bis zum Anleger. Die sechs Bären sammeln ihre sieben Sachen zusammen und streben zum Ausgang.

Bevor sie von Bord gehen, deutet Howard zum Anleger. Dort stehen die beigefarbenen Autos mit den gelben Schildern auf dem Dach.

„Guck mal, Linus, da warten die Kurtaxen.“

„Howard!“

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