1.09.2011

Kapitel 8: Krims und Krams

Am nächsten Morgen stapft Linus gleich nach dem Aufstehen geschäftig durch das Zimmer und wuselt in Schränken und Schubladen. Er prüft alles ganz gewissenhaft, damit ihm nichts entgeht. Sogar den sperrigen Deckel des Koffers stemmt der kleine Bär allein hoch und verschwindet vollständig darin. Als er wieder rauskrabbelt, ist er sicher, dass Anna ihn wirklich komplett ausgepackt hat. Eine zweite Strandexpedition ist für heute geplant und nach seinen Erfahrungen vom Vortag gibt es noch viel zu tun. Deshalb trägt er aus allen Ecken und Winkeln des Zimmers die unentbehrlichen und lebensnotwendigen Teile seiner Ausrüstung zusammen. Die Auswahl ordnet er sorgfältig auf seiner Bettdecke nach Größe, Wichtigkeit und geheimen Zusatznutzen.

Zwischendurch muss er seine Vorbereitung unterbrechen, um mit Anna den Großeinkauf im Ort zu erledigen. In einem Zimmer mit Küche, wie die Bären es gemietet haben, kocht man selber. Eigentlich lebt man wie zuhause. Also benötigen sie Essen, Trinken und Putzmittel. Das steht zumindestens auf Annas Liste. Aber Linus ist hunderttausendprozentig sicher: Da fehlen noch wichtige Sachen. Deshalb kommt er lieber mit. Die kleinen Schwestern kann man leider nicht allein im Zimmer lassen - also müssen sie Lisa und Marie mitnehmen.

Im Supermarkt gibt es viele interessante Dinge, die zum Glück genau in der richtigen Höhe für kleine Bärenpfoten liegen. Weil am Morgen schon ganz viele Urlauber einkaufen, muss Anna lange in der Schlange vor der Kasse warten. Die Kleinen können ihr jetzt noch schnell all die Dinge in den Einkaufskorb packen, die sie sonst vergessen hätte. Draußen haben die anderen Geschäftsinhaber von Wittdün für den Rückweg bunte Körbe auf die Straße gestellt. Auch hier gucken kleine Bären genau hin. Vielleicht sind die bunten Andenken morgen schon weg. Beim Buchhändler braucht Lisa für Kaninchen ein Pixibuch mit einer Langohrgeschichte. Marie bekommt einen Leuchtturmanhänger in der Geschenkstube. Und im Fotoladen entdeckt Linus eine Piratenfahne. Die ist sicher echt. So tiefschwarz mit einem fiesen Totenkopf und gekreuzten Knochen hat sie vorher garantiert an der Mastspitze eines Seeräuberschiffs geflattert. Diese Flagge schwenkt Linus nun mit weiten Schwüngen auf dem ganzen Weg zurück ins Zimmer.

Lausebär und Howard mieten in der Zeit einen Bollerwagen für den Weg zum Strand. Den Tipp hat ihnen die Vermieterin gegeben. Die Bären haben ihr erzählt, dass der erste Ausflug mit den Rucksäcken eigentlich bärenmordend gewesen ist. Als die beiden Jungen endlich wiederkommen, kennen sie wahrscheinlich den ganzen Vermiethandel der Umgebung. Es ist eben nicht einfach, einen Bollerwagen in Bärengröße zu finden. Deshalb leiht Howard gleich noch drei coole Tretroller aus Aluminium für die kleinen Bären dazu. Drei zum Preis von zwei sei ein echtes Schnäppchen. Anna kennt diese Sparmaßnahmen von Howard. Sie schüttelt nur den Kopf und schweigt.

Endlich sind alle Besorgungen für heute erledigt und die Bären können zusammen aufbrechen. Nur die Strandsachen müssen noch gepackt werden. Das heißt, die anderen müssen noch packen. Denn Linus hat sich als Einziger rechtzeitig vorbereitet: Schließlich stellt er schon den ganzen Morgen die perfekte Basisausrüstung für den Strand zusammen. Auch nach der Rückkehr vom Einkauf überlässt er nichts dem Zufall. Er überprüft lieber noch mal gründlich das ganze Zimmer. Die großen Bären können die Lebensmittel auch allein verstauen.

Es sind jetzt wieder viel mehr geworden, als Anna geplant hatte. Besonders viel Naschwerk und Versuchungen für kleine Bären türmen sich inzwischen auf dem Küchentisch. Die kommen außer Reichweite für kleine Korbleger. So packt Anna die Schokoriegel, die mit extra schmieriger Füllung für kleine Bärenmünder, ganz weit nach hinten in den Vorratsschrank. Es klingt auch nur etwas angestrengt, als sie verkündet: „Das nächste Mal gehe ich ohne die Kleinen einkaufen.“ Der Rest kommt dumpf aus dem Schrank: „Es dauert auch so schon lange genug.“ Linus nickt. Das liegt nur an den kleinen Schwestern, die immer rumtrödeln. Ihn hat Anna sicher nicht gemeint. Als allwissender Einkaufsberater ist er unentbehrlich. Er hat vieles gefunden, was die große Bärin auf der Liste vergessen hat. Doch der große Finder kann sich erst morgen wieder um Einkäufe kümmern. Denn jetzt sucht Linus ein wirklich oberwichtiges Teil.

Als er fast schon aufgeben will, steigt er ein letztes Mal in den Koffer. Der Koffer schlägt zu. Innen rumort es heftig. Als der Deckel wieder hochklappt, ertönt ein Jubelschrei. Der Kleine schwenkt seine leuchtende Minitaschenlampe über dem Kopf. Er hat die superhelle Lampe in den stockfinsteren Tiefen des Koffers liegen lassen, als er am Morgen die Seitenfächer untersucht hat. Die große Inselexpedition kann beginnen.

Zufrieden klipst der kleine Bär den Karabinerhaken der Taschenlampe an der Gürtelschlaufe fest. So kann sie locker baumeln und er hat sie dennoch sofort zur Hand. Um seinen Hals schwingt der Kompass, damit er weiß, in welche Himmelsrichtung er gehen muss. Daneben hängt die Trillerpfeife und an einer Extrakette die Becherlupe. Das Fernrohr steckt in der Jackentasche und den Rest hat er in den Hosentaschen verstaut. Mit großen eckigen Schritten stapft der unerschrockene, berühmte und weltbeste Amrumforscher zur Tür.

Dort wartet Anna auf ihn. Sie hat fassungslos zugesehen, wie der kleine Bär erst den ganzen Morgen unzählige Kleinigkeiten auf seinem Bett gesammelt hat. Dann hat er in der letzten Viertelstunde noch mal das ganze Zimmer durchwühlt. Alles, aber auch wirklich alles, was er zwischen die Pfoten bekommen hat, ist in seinen prallgestopften Taschen verschwunden oder baumelt nun an seinem Hals. Wenn sich der Kleine so auf den Weg macht, darf Anna nach einer halben Stunde mindestens die Hälfte des Krimskrams für Linus weitertragen. Schon jetzt kann er nicht mehr richtig gehen. Also stoppt sie den kleinen Bären und er muss die Taschen wieder ausleeren.

Linus murrt. Das ist alles sorgfältig ausgesucht und einfach überlebenswichtig. Da sind zum Beispiel drei Gummibänder und nur eines ist so morsch, dass er es zusammengeknotet hat. Dazu hat er schon zwei Papierflitsche vorbereitet, damit er sofort – nachdem er die Papierwinkel mit Spucke angefeuchtet hat - mit den Gummis schießen kann. Eine richtige Zwille hat Anna ihm ja verboten. Das abgebrannte Streichholz kann man sicher noch brauchen. Dazu ein extra flacher Stein, der gut über das Wasser ditscht. Und ein ganz spitzer Feuerstein, weil er auf das Taschenmesser noch sparen muss. Sieben Cent in fünf Münzen ist der Rest vom Taschengeld. Ein Stück Bindfaden, das eigentlich zu kurz ist und dafür noch ein weiteres Stück Schnur, beide fein säuberlich zusammengeknüllt. Darin hängt ein Rest vom Papiertaschentuch und in der anderen Tasche ein weiteres. Das ist aber nass geworden und inzwischen ein hoch verdichteter, fester Ballen in Schmuddelweiß. Eine verknickte Sammelkarte hat er gestern gefunden und gleich eingesteckt. Die passt zur bunten Briefmarke, die fast noch alle Zähne hat und der alte Poststempel ist auch kaum zu sehen. Die kann man garantiert noch mal verwenden. Das nächste Mal packt er sich Tesafilm dafür ein. Dann holt er aus der Tasche noch ein nur leicht angelutschtes Honigbonbon, das er sorgfältig wieder in Bonbonpapier eingewickelt hat und noch drei klein geknüllte Kugeln mit weiteren Wickelpapieren für andere Bonbons. Das Eislöffelchen von der großen Eisportion auf der Hinfahrt hat er sauber abgeleckt und sicherheitshalber eingepackt. Falls sie an der Eisdiele vorbeikommen und es Eis aber keine Löffel gibt. Den abgebrochenen Bleistiftstummel kann er demnächst ja wieder anspitzen. Leider ist das Ratzefummel aus der Blechhalterung gefallen. Den Anspitzer dazu findet er aber wieder. Ein eng geknicktes Papiermaßband vom letzten Baumarktbesuch ist immer nützlich. Falls er plötzlich wissen muss, wie lang so ein Meter ist. Zwei Muscheln, eine Murmel und eine leere Garnrolle sind das Letzte, was er für Anna aus den Tiefen seiner Hosen holt. Danach dreht sie die Taschen um und zieht das Futter nach außen. Ein feiner Sandregen rieselt neben die Schuhe des kleinen Bären. Nun gut, auf den Sand kann er verzichten. Anna staunt. Noch nie passte so vieles in so wenige Taschen.

Es folgt ein langes Gespräch mit vielen genauen Erklärungen, wofür jedes einzelne Stück benötigt wird. Und was alles auf einer Insel passieren kann. Schließlich einigen sich beide auf die Hälfte, die Linus eilig wieder in den Taschen verschwinden lässt. Den Rest legt er sich für morgen bereit.

Dann greift er die neue Piratenfahne, um sie stolz zum Bollerwagen zu tragen. Dort hisst er sie mit Howards Hilfe. Dieser Transportkarren wird ab heute unter einem Totenkopfbanner zum Strand gezogen. Hier kommt der Schrecken der Meere. Und ein paar kleine Schwestern.

Keine Kommentare: