1.09.2011

Kapitel 12: In den Nagelbetten

„Was macht ihr?“ Lisa hat sich hinter Howard und Lausebär aufgebaut.

„Wir bauen die Hütte.“

„Immer noch?“ Die Bärin langweilt sich.

„Es wird noch etwas dauern,“ brummelt Howard.

„Warum?“

„Weil sie noch lange nicht fertig ist.“ Lausebär guckt noch nicht einmal. „Es fehlt doch das ganze Dach. Und ohne Dach ist es noch keine Hütte.“ Er beginnt einen Nagel einzuschlagen.

„Warum?“

„Eine Hütte ohne Dach ist nur ein Windschutz,“ presst Lausebär zwischen zwei Hammerschläge.

„Mir gefällt sie aber schon so. Können wir jetzt nicht was anderes bauen?“

Die kleine Bärin langweilt sich doch schon seit ein paar Minuten.

Die Jungen murmeln nur: „Später.“

„Menno,“ schnupft Lisa. „Später ist blöd.“

Vielleicht hätte sie mit Anna mitgehen sollen. Die große Schwester ist auf der Suche nach neuem Strandgut mit Marie und Linus zur Wasserkante gegangen. Wenn Lisa die Augen wegen der grellen Sonne zusammenkneift, sieht sie drei dunkle Punkte, die sich gegen die Brandung abheben. So wie sie umherhüpfen, haben die drei ihre Holzexpedition erst mal unterbrochen. Stattdessen toben sie durch die Wellen und baden danach sicher im Meer.

Die zurückgelassene Bärin muckelt mit ihrem Schicksal. Sie musste doch bei Kaninchen bleiben. Und jetzt ist alles so langweilig. Also unternimmt sie noch einen Versuch. Sie hebt die Stimme und wiederholt:

„Spääääter ist blööööd.“

Aber Lisa sieht, dass es keinen Zweck hat. Howard und Lausebär unterbrechen noch nicht einmal ihre Arbeit, während sie versucht, mit beiden zu verhandeln. Sie kennt das schon. Die Großen wollen alles immer „später“ machen. Dabei will sie „jetzt“ was anderes machen. Was das ist, weiß sie ja selber nicht. Aber das wird sie auch nie wissen, wenn es nicht „jetzt“ gemacht wird. Und das ist eine Gemeinheit!

„Wenn die nicht mit uns spielen wollen, Kaninchen, wollen wir mit denen auch nicht spielen. Dann machen wir eben unseren eigenen Kram.“

Howard und Lausbär sind so mit dem Hüttenbau beschäftigt, dass sie nicht mal merken, dass Lisa mit Kaninchen abzieht. Außer, dass das Bauen schneller und einfacher wird, wenn keine kleine Schwester nervt.

„Später“ geht es nicht mehr weiter. Sie brauchen dringend mehr Nägel. Irgendwo liegen die noch herum. Bestimmt. Lausebär ist sich sicher, dass Howard und er noch nicht alle verbaut haben. In immer größeren Kreisen beginnt er den Sand rund um die Baustelle abzusuchen. Howard soll ruhig weiterbauen. Er wird die letzten Reserven schon allein finden. Auf seinem Weg dreht er alle Fundsachen um, schaut unter Tücher und Bretter. Fehlanzeige - das einzige, was er dabei findet, ist der kleine Leuchtturm aus Holz, den Marie noch nicht einmal vermisst hat. Ganz in Gedanken steckt er ihn ein. Es muss hier einfach noch Nägel geben.

Als der Suchkreis immer größer wird, landet er bei Lisa, die mit Kaninchen versonnen im Sand spielt.

„Hast du Nägel zum Bauen gesehen?“

„Neiihiin.“ Lisa ist so ins Spiel vertieft, dass sie noch nicht einmal aufschaut.

Lausebär will die Suche schon fortsetzen, als er sieht, womit Lisa und Kaninchen spielen. Da liegen mindestens zwanzig Nägel in Gruppen sauber aufgereiht und bis auf die Köpfe mit Tuchfetzen bedeckt. Genauer gesagt in zwei Gruppen, denn ein Tuch liegt vor Lisa und das andere vor Kaninchen, dem gerade erklärt wird, warum Nägel so schlecht einschlafen.

„Die habe ich gesucht“, strahlt Lausebär und will schon zugreifen.

„Halt, das sind unsere Babies und die müssen jetzt schlafen!“

„Aber das sind die Nägel, die Howard und ich für die Hütte brauchen.“

„Jetzt nicht mehr! Jetzt sind es die Kinder von mir und von Kaninchen. Und die müssen jetzt schlafen.“

„Und wenn sie ausgeschlafen haben, gehen sie zur Arbeit.“ schlägt Lausebär vor.

„Zur Arbeit?“

„Ja, Holz festhalten und dem Wind trotzen. Wichtige Aufgaben halt.“ Hoffentlich überzeugt das Lisa.

„Aber dafür schlägst du meinen Babies ja auf den Kopf.“ Die Kleine schüttelt den Kopf. „Nee, meine Kinder müssen noch nicht arbeiten.“

„Vielleicht nicht alle – aber einige sind doch schon groß.“

„Meinen Babies schlägt keiner auf den Kopf,“ beharrt Lisa.

„Kannst du denn nicht weniger Kinder haben?“

Seine Schwester kreischt entrüstet auf: „Waaaas – ich soll mich von meinen Kindern trennen?“

Eine Pause entsteht. Lausebär überlegt fieberhaft. So geht es nicht.

„Kann ich nicht wenigstens die Kinder von Kaninchen haben?“

„Mal sehen – Kaninchen ist ja noch klein. Also kann es das mit den Babies bei mir erst noch lernen.“

Lausebär bekommt Kaninchens Nägel ausgehändigt. Das kleine Langohr muss zu den übriggebliebenen Bettgenossen umziehen. Und muss sich ganz wichtige und lange Erklärungen von Lisa zur Nagelpflege anhören. Die könnte es sich ruhig hinter die langen Ohren schreiben. Aber Kaninchen kann ja auch nicht schreiben. Nur zuhören.

Howard wartet schon, als Lausebär mit seiner Beute zurückkommt.

„Das hat aber gedauert“, spottet er. „Hast du erst die Eisenzeit neu erfunden und hier eine eigene Nagelgewinnung angefangen?“

„Nein, aber einen Kinderhandel.“

Howard schüttelt verständnislos den Kopf. „Egal, lass uns weitermachen.“

Inzwischen kommen die anderen Bären mit reicher Beute von ihrer Holzexpedition zurück. Sie sind fast bis zur südlichen Sandspitze, dem „langen Kapitän“, gelaufen. Sogar eine stolze Marie zieht ein Seil mit drei kleinen Hölzern ins Lager. Dem Holzvorrat sieht man den Zuwachs aber nicht an, da jetzt noch mehr Pfoten eifrig Bauteile zum Rohbau ziehen.

Die Hütte nimmt langsam Gestalt an. Drei Seiten sind schon richtig gut ausgerichtet. Die Holzkonstruktion hält und wird mit Spannseilen gesichert. Linus hilft begeistert, die Heringe einzuschlagen, seit er weiß, dass damit keine Fische gemeint sind. Von den oberen Enden der Tragpfeiler werden dann die Schnüre zu den Heringen gespannt und mit Seilspannern straffgezogen. Unermüdlich buddelt Howard Fundamentlöcher in den Sand. Am besten so tief es geht – also bis das Wasser beginnt, im Loch aufzusteigen. Dann setzt er mit Lausebär die dicken und dann bärenhohen Fundhölzer ein. Das Loch zuschütten und fest darauf rumtrampeln, um den Sand zu verdichten. Wieder eine Aufgabe für Linus, der eigentlich unentbehrlich ist: „Ohne mich würde die Hütte doch wieder einstürzen, oder?“ Klar doch Linus.

Die letzten Pfosten und Querbalken zum Wasser hin müssen jetzt noch gesetzt werden.

Lange Zeit beratschlagen Howard und Lausebär, wo der Eingang liegen muss, so dass der Wind nicht immer Sand reinwehen wird. Abwechselnd werfen sie Sand in die Luft, um zu sehen, wohin die Körner treiben. Linus denkt in größeren Dimensionen. Hier ist schließlich der weltbeste Windmesser am Werk. Er nimmt die große Schaufel und wirft mit weitem Schwung ordentlich Zuckersand in die Luft. Die riesigen Sandwolken, die dabei entstehen, taugen zwar kaum zur Windbestimmung, hüllen aber erst einmal Marie ein. Sie hat sich neugierig zu Linus gestellt. Es dauert einige Zeit, bis Anna die Tränen getrocknet und das Fell weitgehend sauber gebürstet hat.

Inzwischen haben sich Lausebär und Howard auf Südost geeinigt. Wenn man später aus der Hütte guckt, wird man auf das offene Meer und die Halligen schauen. Mit Mittelpfosten und Querträgern ist die Tür fertig. Fast fertig, ein Brett wackelt noch. Aber die Nägel sind schon wieder alle vernagelt. Was jetzt?

Lausebär schaut zu Lisa und Kaninchens Kinderstube. Die ist verwaist, da Lisa und Kaninchen inzwischen losgezogen sind, um kleine Muscheln für die Babies zu suchen.

Der große Bär nutzt die Gelegenheit. Howard muss aufpassen und er schleicht zum Nagellager. Dort nimmt der Bär einen Nagel von der Seite des Nagelbetts. Schließlich ist es für einen guten Zweck. Außerdem, Lisa kann sowieso nicht so weit zählen. Sie wird schon keinen Unterschied merken. Und das Wichtigste, er muss nicht wieder so lange mit Lisa reden.

Mit Lisa muss er den ganzen Tag nicht mehr reden. Denn Lisa kann vielleicht nicht zählen, aber den leeren Abdruck im Sand, den sieht sie sofort. Sie beklagt sich bitterlich bei Anna. Und Anna redet Lausebär ins Gewissen. Das dauert länger. Die Notlage lässt sie nicht gelten. Lausebär muss sich bei Lisa entschuldigen. Und bei Kaninchen. Beide schweigen. Das macht es für Lausebär nicht einfacher.

Aber immerhin, der Rohbau steht.

Jetzt müssen die Tücher gespannt werden. An die vier Ecken binden die großen Bären Strippen fest. Mit einem Knoten im Tuch sichern sie dann die Bindungen. Rund um die Hölzer müssen die Tücher sich weiträumig überschneiden, damit später der Wind nicht überall durchpfeift. Da helfen alle mit und ziehen und zerren an den Tüchern, damit Howard die Strippen an der Konstruktion festbinden kann. Marie hat die kleinste Pfote, deshalb darf sie damit den ersten Knoten sichern, während Howard den zweiten legt. Vor dem Zuziehen muss sie ihre Pfote nur rechtzeitig rausziehen.

Lausebär und Lisa sprechen immer mit Anna, wenn sie sich abstimmen müssen. Die hofft inständig, dass das Bärentheater morgen wieder vorbei ist. Das ist wieder einer dieser Tage, an dem sie bedauert, die große Schwester sein müssen.

Damit die Tücher unter der Windlast sich nicht so ausbeulen, ziehen Anna und Lausebär kreuzweise Seile vor und hinter den gespannten Stoffwänden. Howard dirigiert inzwischen die kleinen Bären beim Auslegen des wasserdichten Duschvorhangs für das Dach. An jede Ecke müssen wieder Seile befestigt werden. Die Sonne steht schon tief, die Bären müssen sich ranhalten. Das Aufziehen des Daches ist noch mal Schwerstarbeit. Die großen Bären wuchten das Tuch über die Stangen, bis der Wind es aufbläht und sie schnell zu den kleinen Bären eilen müssen. Die hängen schon ziemlich in den Seilen, so sehr zerrt der Wind das Dach nach oben. Gemeinsam bändigen sie das Dach und spannen die Ecken mit den Heringen.

Ein letztes Spannkreuz aus Strippen sichert das Dach gegen den Wind. Dann ist es geschafft - eine Strandhütte ist fertig. Das bisschen Innenausstattung und die Gestaltung der Außenanlagen haben Zeit bis morgen. Das Werkzeug und der ganze Rest wird vergraben. Das wird auch Zeit, denn der Leuchtturm beginnt schon sein Licht über die Nordsee hinauszuschicken.

Zwei Bären, die in sich ruhen. Zwei, die wissen, was sie geschafft haben. Lausebär und Howard können sich am gemeinsamen Werk nicht satt sehen. Sie stehen auf der nächsten Düne und betrachten die Hütte im Abendlicht. Die ganze Vorbereitung, die genaue Planung und - es funktioniert. Das haben sie schon Klasse gemacht. Anna packt inzwischen die Kleinen in den Bollerwagen. Dann müssen die beiden Jungen endlich anpacken. Sie asten mit dem Bollerwagen zurück in den Ort. Die Kleinen pennen da schon wieder selig im ruckelnden Gefährt und träumen von neuen Abenteuern.

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