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1.09.2011

Kapitel 2: Das nautische Genie

Der Wind zieht an den kurzen Haaren von Lisas sandfarbenen Fell.

Auf dem Aussichtsdeck der Fähre weht eine sanfte Brise. Der Wind trägt auch die Möwen, die der Fähre aus dem Hafen folgen. Mühelos, fast ohne Flügelschlag, tänzeln sie über die weißen Gischtkronen, die von der „Nordfriesland“ in die blaue See gezogen werden. Der weiße Stahlkoloss rumpelt und summt, als er unbeirrt durch die Nordsee stapft. Der Hafen von Dagebüll wird am Horizont immer kleiner.

Bald sind sie auf der Insel. Die heißt Amrum. Da hat Lisa genau aufgepasst. Nun wird die Reise ganz großartig. Sie kann nicht mehr stillsitzen.

Das musste sie doch schon die ganze Fahrt. Die war richtig doof. Nichts durfte sie machen. Überall, wo es spannend aussah, war keine Zeit. Ständig mussten sie weiter. Wenn die kleine Bärin etwas haben wollte, war es immer zu teuer.

Das ist zum Glück vorbei. Jetzt will sie alles sehen. Überall die Bärenschnauze reinstecken. Auf der Fähre fängt sie schon mal an. Sie springt auf und läuft über den Metallboden zum Geländer.

Lausebär kommt hinterher. Sie soll acht geben, dass sie nicht ins Meer fällt. Wenn jemand über Bord gegangen ist, braucht ein Schiff irrsinnig lange, bis es gestoppt hat. Und es muss erst noch umkehren, um den Unglücklichen aufzufischen.

Klar, großer Bruder, sie passt schon auf. Zur Sicherheit stopft sie Kaninchen tiefer in die Tasche ihres Regenmantels.

„Kaninchen, dass du mir ja nicht vom Schiff fällst! Weil die hier ganz schlechte Bremsen haben. Und dann müssen sie erst noch fischen.“ Kaninchen passt auch auf.

Der Ältere bleibt neben Lisa an der Reling stehen.

„Lausebär, wo wird hier das Fernsehen gemacht?“

„Welches Fernsehen?“

„Du hast gesagt, es ist eine WDR-Fähre. Also machen die hier doch irgendwo das Fernsehprogramm.“ Lausebär lacht. WDR heißt hier an der Küste die Firma, der die Schiffe gehören. Genauer ist es die „Wyker Dampfschifffahrts Reederei“ und die hat nichts mit dem „Westdeutschen Rundfunk“ zu tun. Die haben nur dieselbe Abkürzung.

„Dann kommt man doch immer durcheinander mit den Fernsehfähren. Und dampfen tun sie auch nicht, nur brummen und stinken.“ Lisa mag klare Verhältnisse und hier ist alles so verwirrend. Daran ändert auch die Erklärung ihres großen Bruders wenig, dass es - als die Reederei einen Namen suchte - noch dampfende Schiffe gab. Heute würden sie wahrscheinlich eine WBR gründen, eine „Wyker Brummschiff-Reederei“.

Anna hat es sich mit Marie auf einer Bank gemütlich gemacht. Die große Schwester kann ein wenig ausspannen. Endlich muss sie diesen Flohzirkus nicht zusammenhalten oder antreiben. Auf dem Schiff können sich alle beschäftigen und keiner geht verloren. Hoffentlich.

Von der Bank aus haben die beiden Bärinnen einen großartigen Überblick. Das obere Aussichtsdeck befindet sich mindestens drei Stockwerke über dem Wasser. Hinter ihnen markiert eine endlose Reihe von Windrädern den Küstensaum. Links sind kleine Inseln wie Perlen einer Kette aufgereiht. Das sind die Halligen, an denen sie eine nach der anderen vorbeifahren. Die großen Inseln liegen voraus in der Ferne. Die hinteren können sie nur erahnen, da sie noch im Dunst verborgen sind.

Alles gleißt und leuchtet. Die Farben machen es einfach und klar. Die Fähre ist weiß, die Schornsteine gelb und das Deck grün. Die Möwen über ihnen trennen sich strahlendhell vom blauem Himmel. Vereinzelt stehen weiße Schäfchenwolken. Ein dunkleres Blau mit einem Hauch von Grün, das ist das Meer. Aber am Horizont verschmelzen Luft und Wasser miteinander ohne sichtbare Grenze.

Anna streckt sich. Welch eine Wohltat. Sie knabbert am mitgebrachten Honigkuchen, während sie der Jüngsten aus einem Faltblatt der WDR vorliest:

„Amrum ist die drittgrößte nordfriesische Insel. Sie liegt zwischen Sylt und Föhr. Ihre Größe beträgt 20 Quadratkilometer und mit dem Kniepsand – der großen Dünenlandschaft im Westen - sogar 29 Quadratkilometer. Sie hat fünf Orte: Norddorf, Nebel, Süddorf, Steenodde und Wittdün. Die 2.300 Einwohnern leben weitgehend vom Fremdenverkehr. 12.000 Gästebetten . . .“ Weiter kommt Anna nicht. Marie interessiert sich nicht für Gästebetten oder Fremdenverkehr. Sie will von Anna ganz andere Dinge über Amrum wissen.

„Gibt es da Sand? Auch Muscheln? Und Delfine?“ Marie liebt diesen Sommer Delfine.

Anna nimmt ihre Schnauze aus dem Faltblatt.

„Nun, Sand und Muscheln sehen wir auf Amrum auf jeden Fall. Delfine nicht. Aber dafür vielleicht Robben. Die leben auch die meiste Zeit im Wasser und mögen Fisch.“

Marie will jetzt sofort eine Robbe sehen und Anna blättert eifrig im Prospekt. Bevor sie ein Foto vom einem Seehund oder wenigstens einem Heuler findet, hat Marie was Neues entdeckt.

„Lieber die Karte gucken, wie das hier aussieht.“

Gemeinsam studieren sie die Lage von Inseln und Halligen zur Küste. Das heißt, Anna studiert die Lage, Marie ist schon längst weiter.

„Ich will Honigkuchen.“ Leicht verwundert gibt ihr die große Schwester ein Stück in die Pfote. Schon will Marie aufspringen. Der Holzanhänger an ihrer Jacke klappert aufgeregt hin und her. Es ist heute die Grinsekatze, die am Kragen der Kleinsten hängt.

„Marie, was hast du vor?“

„Ich will die weißen Vögel füttern.“ Sie deutet auf die Möwen, die der Fähre folgen.

„Das geht nicht.“ Anna schüttelt den Kopf.

Marie schaut auf die leicht klebrige Leckerei in ihrer Pfote: „Mögen die keinen Honigkuchen?“

„Das weiß ich nicht. Aber: „Das Füttern der Möwen ist verboten“. Hier steht es geschrieben.“

Anna deutet auf ein riesiges Verbotsschild, das hinter ihnen über den Bänken hängt. Der Blick der kleinen Möwenfreundin folgt verständnislos ihrer Pfote. Für die Jüngste sind da nur riesige schwarze und rote Krackel. Die könnten doch alles Mögliche sagen. Aber wenn es bedeutet, „Möwen kriegen keinen Honigkuchen“, dann isst sie den Kuchen eben selbst. Mit vollen Backen mümmelnd betrachtet sie das schwerelose Auf und Ab der eleganten Segler, die nicht ahnen, was ihnen entgeht. Die meisten Möwen drehen ab, als sie einen Krabbenkutter entdecken, der mit ausgelegten Schleppnetzen das Kielwasser der Fähre kreuzt. Dem Fischer zu folgen verspricht bessere Beute, als auf leseschwache Touristen zu hoffen.

Auch Lisa und Lausebär schauen an der Reling den Möwen nach, wie ein eleganter Segler nach dem anderen abdreht, um dem Krabbenkutter nachzufliegen. Kaum dort angekommen stürzen sich die Vögel kreischend mit abgespreizten Beinen in die aufgewühlte See hinter dem kleinen Schiff. Sie haschen nach Beute, die von den beiden durch das Wasser gezogenen Netzen aufgejagt wird.

Wenn sich die beiden Bären stattdessen zum Aufgang zum Oberdeck umgedreht hätten, hätten sie zuerst ein keckes Puschelohr gesehen, das aus dem Halbkreisloch einer Baseballkappe hervorlugt. Einer Kappe, deren Schirm zur Seite gedreht ist, dass er das andere Ohr und den Nacken vor der Sonne schützt. Darunter steckt der mittelbraune Wuschelkopf von Howard, der die Treppe hochstapft. Lausebär hat seinen besten Freund noch nie ohne verdrehte Kappe gesehen. Sie könnte angewachsen sein, wenn Howard nicht mehrere Modelle zum Wechseln hätte. Neben Howard tauchen jetzt zwei weitere Bärenohren auf, die zum gewichtig dreinblickenden Linus gehören. Kleiner und etwas stämmig muss sich Lisas Bruder ganz schön abmühen, die Treppenstufen zu nehmen. Ständig klimpert es dabei in seinen Hosentaschen. Weil der kleine Bär immer bereit sein will, hat er seine wichtigsten Werkzeuge und Schätze ständig dabei. Für große Entdeckungen und richtige Abenteuer.

Deshalb haben Howard und Linus schon das ganze Schiff untersucht. Das Passagierdeck mit der Theke und den umherhastenden Kellnern, die hektisch wartende Gäste mit Kaffee und Matjestöpfchen bedienen. Sie testen die fast schalldichte Spielecke und finden die Gepäcknischen und das Kinderkino im Unterdeck. Die Brücke dürfen sie nicht sehen. Dafür werfen sie heimlich einen Blick in den Maschinenraum. Nachdem sie auch die Andenkenauslage mit Fährenpostkarten, Filzwattwürmern und in Folie eingeschlagenen Fläschchen mit Friesengeist genauestens inspiziert haben, ist es Zeit auf das Sonnendeck zu kommen. Sie stellen sich neben Lisa und Lausebär.

„Guck mal, Linus, da oben links. Die anderen Vögel sind schon abgehauen, aber die Möwe kommt die ganze Zeit mit. Die will sicher auch nach Amrum und freut sich, dass sie nicht allein fliegen muss.“ Die kleine Bärin deutet auf den letzten Seevogel, der noch über der Fähre schwebt.

Linus winkt ab: „Pah, die ist auch nur hungrig. Und außerdem ist die nicht links sondern an backbord!“

„Was ist denn dieses Backbord?“

Darauf hat der junge Bär nur gewartet, endlich kann er sein überlegenes Wissen ausspielen. Seit Linus weiß, dass es nach Amrum geht, guckt er sich alles im Fernsehen an, was mit Seefahrt und Meer zu tun hat. Piratenfilme, Reiseberichte, Matrosenschicksale und Geschichten hinter dem Deich. Inzwischen ist er der absolute Fachbär für maritime Fragen. Ein nautisches Genie sozusagen. Auch dank Howard, der – so oft er Zeit dazu findet – mit Linus zusammen vor dem Fernseher sitzt. Die Zeitschriften und See-Bücher verschlingen beide zusammen. Die Texte muss Howard natürlich Linus vorlesen. Bei längeren Passagen fasst der Ältere den Inhalt kurz zusammen. Das ist spannender für junge Bären. Die eine oder andere Flunkerei oder – wie ein Seebär sagen würde – ein bisschen Seemannsgarn hat sich da schon eingeschlichen. Für eine spannende Geschichte kann man nicht immer Rücksicht auf die Wahrheit nehmen.

Und Linus ist jetzt bereit für große Erklärungen:

„Das Backbord ist in der Küche. Die ist beim Schiff immer links. Sonst würde es ja umkippen. Weil das Brett, an dem das Steuerrad hängt, das Steuerbord, immer rechts ist. Und wenn da der Kapitän und der Steuermann stehen, muss der Smutje, das ist der dicke Koch, halt links bleiben. Wegen des Gleichgewichts, sonst gibt das Schlagseite.“

Lausebär schüttelt nur den Kopf, aber Lisa hängt an Linus Lippen. Einiges ist ihr noch unklar: „Schlagseite, hat das was mit Schlagsahne zu tun?“

„Nee, Nee!“ schüttelt der kleine Fachbär den Kopf. „Bei Schlagseite verliert die Fähre Tiefgang und kippt auf eine Seite. Und wenn sie sich ganz dreht, dann schwimmt sie kieloben.“

„Kiel oben wie München unten?“ Lisa versucht Ordnung in dieses Wirrwarr zu bringen.

„Der Kiel ist beim Schiff unten und wenn der oben ist, liegt das Ding auf dem Kopf“ Linus zeigt mit seiner Pfote, wie gefährlich das ist.

Lisa hätte es doch gern so einfach: „Wieso Schiff? Ich dachte, das ist eine Fähre, weil die doch übers Meer fährt.“

„Dann würde ein Schiff ja schiffen und ein Boot booten.“ Linus fährt unbeeindruckt vom verwirrten Blick seiner Schwester fort.

„Schiffen heißt an der Küste pinkeln, ihr meint eher Schippern,“ wirft Howard ein. Arme kleine Bärin.

Linus lässt sich nicht vom Kurs abbringen: „Alle Schiffe, Boote und was auch immer fahren auf dem Wasser und machen Knoten.“

„Wo? Ich sehe nur Wellen und weißen Schaum hinterm Schiff.“

„Du meinst das Heck...“, verbessert sie das nautische Genie.

Lausebär schaltet sich ein und versucht ein wenig Ordnung in Lisa Kopf zu bringen: „Die Knoten, die ein Schiff macht, kann man nicht sehen. Wenn Seeleute von Knoten sprechen, meinen sie die Geschwindigkeit des Schiffes. Und unser Schiff ist eine Fähre, weil sie auch Fahrzeuge, also Autos und Lastwagen nach Amrum bringt.“

Das hat die kleine Bärin jetzt verstanden. Aber der Rest ist leider immer noch so unklar. Besser, sie wendet sich den lustigen Dingen einer Seefahrt zu: „Hey, da tanzen bunte Bojen in den Wellen. Es gibt rote und grüne.“

„Das sind doch keine Bojen, das sind Tonnen.“ Der kleine Fachbär ist nicht zu bremsen. „Die zeigen, wo das Fahrwasser ist, weil da ein Priel liegt.“

Lisa hat die endgültig die Nase voll. Sie weiß doch genau, wie Tonnen aussehen und sicher wird ihr kleiner Bruder auch noch behaupten, dass ein Priel nichts mit dem Spülmittel zu tun hätte.

Wenn sie doch schon auf der Insel wären, die da vorne immer größer geworden ist und inzwischen fast das ganze Blickfeld einnimmt. Viele Fahrgäste können die Ankunft auch nicht erwarten. Überall werden Koffer und Taschen zusammengesucht und die ersten Gruppen sammeln sich mit geschulterten Gepäck schon auf dem Autodeck. Andere setzen sich in ihre Fahrzeuge. Jetzt aber schnell. Die kleine Bärin will nicht die Letzte sein, die auf die Insel kommt. Sie müssen packen und sich dazu stellen. Dann sofort zum Ausgang und...

„Ganz ruhig Lisa,“ bremst Lausebär. „Wir müssen noch eine Insel weiter.

Das ist erst Föhr!“

Kapitel 3: Immer noch auf See

Ein tiefes Tuten begrüßt Amrum.

Die Fähre nähert sich dem Hafen, der auf einer Landzunge liegt. In der Mitte der Fläche steht ein blauweißes Gebäude. Das ist keine griechische Hafenspelunke, wie Linus vermutet, sondern der Sitz der WDR. (Natürlich von der Reederei und nicht vom Fernsehsender.) Damit die Autos vom Schiff kommen, müssen sie jetzt nur noch zu einem der drei blauen Metalltore kommen, die große Stahlrampen tragen.

Den Weg dahin markieren Holzstangen, die senkrecht aus dem Wasser ragen. Einige haben Reisigbündel ans Ende gebunden, als sei ein ganzes Hexen-Geschwader mit ihren Besen geradewegs in die Hafenzufahrt gestürzt und im Schlick stecken geblieben. Die anderen Stangen waren mal Birken, denen man eine kleine Krone gelassen hat. Die restlichen Äste sind fort. Nur ein paar kümmerliche Zweige mit einigen trockenen Blättern recken sich am Ende nach oben.

Howard und Lausebär stupsen sich die ganze Zeit an und zwinkern sich verschwörerisch zu.

„Das wär´s. So einen müssten wir am Strand finden,“ flüstert Howard seinem Freund ins Ohr.

„Ja, das wäre optimal... Aber der ist sicher ganz schön schwer.“

„Aber hallo!“ Howard hebt begeistert die Stimme.

„Wie lang die wohl sind?“ Auch Lausebär packt die Aufregung.

„Na so acht bis zehn Meter bestimmt. Kommt darauf an, wie tief die im Wasser stehen.“ Howard versucht, mit seinem Blick das Meer zu durchdringen.

Lisa will auch wissen, worüber die beiden reden: „Was ist tief im Wasser? Und was wollt ihr am Strand?“

Ihre große Strandplanung wollen die beiden noch nicht verraten, aber den Rest kann man der Kleinen ja sagen.

„Wir reden über die Pricken.“ Howard deutet auf die Stangen im Wasser.

Da ist schon wieder so ein komisches Wort. Lisa hat den Verdacht, dass an der Küste alles irgendwie anders heißt. Können die nicht einfach alles normal benennen, so wie sie?

„Was sind denn diese Pricken?“

„Das sind Pinkelbäume für Seehunde,“ trötet Linus dazwischen.

„Und sie zeigen den Weg zum Anleger,“ ergänzt Howard, der Linus nicht korrigieren will. Schließlich kennt der Bärenjunge die Seehundgeschichte von ihm.

Lisa traut sich schon gar nicht mehr zu fragen, sicher lauern da schon wieder so viele Küstenworte. Sie kann sich die Frage aber auch sparen, da Linus seine Kenntnisse auch so blitzen lässt.

„Der Anleger ist der Pier. Oder die Mole. Oder ein Steg. Oder ein Kai. Oder...“ Lisa winkt unwillig ab, sie will nicht immer neue Worte für das Unbekannte. „Schluss mit den Kai-Uwes. Was ist denn nun ein Anleger?“

„Der Anleger ist da, wo die Fähre anlegt,“ wirft Howard schnell ein.

Anlegen am Anleger, das klingt so sanft und bedächtig. Lisa weiß noch, wie es gerade in Föhr gewesen ist. Die Fähre hat sich mit ordentlich viel Schwung im Hafenbecken gedreht und ist dann mit einem lautem, tiefen „Dong“ an ein paar Metallpfähle gehauen. Die sind dick mit Gummi gepolstert. Und nachdem das Schiff noch ein paar Mal gegen die Pfähle gerummst ist, liegt es wohl endlich richtig. Dann ist es nur noch an den Gummis lang gescheuert, bis es dicht genug an dieses blaue Tor rangekommen ist und die Metallrampe mit lautem Rumpeln auf das Autodeck gehauen werden konnte. Das hat aber keinen von der Besatzung aufgeregt. Die machen das wohl immer so. Eigentlich sollte man das Ganze lieber Anrempeln statt Anlegen nennen. Mal sehen, ob es diesmal anders wird.

Das Schiff nähert sich im weiten Bogen der Stahlrampe. Plötzlich wird die Fahrt ruppig. Das Summen geht in ein immer heftigeres Brummen über. Die Fähre verliert an Fahrt. Die Diesel bellen auf, der grüne Metallboden beginnt zu vibrieren. Dann Ruhe. Die Schiffsmotoren springen wieder an. Die Pfähle am Anleger wandern jetzt nach vorne raus. Sie fahren rückwärts.

Erneut rappelt das Schiffsdeck. Die Motoren werden lauter. Wieder Stop.

„Wir haben Voll-Ebbe.“ Das nautische Genie spricht.

„Voll? Der Hafen sieht leer aus. Hier gibt es noch nicht mal Wasser.“

Lisa versteht dieses Wasser-Kauderwelsch immer noch nicht.

„Sage ich ja. Das Schiff ist aufgelaufen,“ schnauft Linus. Kleine Schwestern kapieren doch gar nichts.

„Auf was?“ Muss sie ihm alles aus der Nase ziehen?

„Auf Grund.“

„Ja?...Linus, auf was für einen Grund?“ Lisa pufft ihren kleinen Bruder in die Seite, damit er weiterspricht.

„Schlick. Um wieder flott zu werden, müssen die jetzt Gewicht loswerden.“

„Gewicht loswerden?“ In Lisas Kopf schwirren die Fragen. Wie geht das denn verloren? Kann das Schiff dünner werden? Gibt es dafür auch Schlankheitskuren? Muss die Besatzung nun hungern? Dauert das nicht schrecklich lange?

Linus kennt einen besseren Weg: „Am besten werfen sie Ballast über Bord. Zum Beispiel die Feriengäste.“

„Das ist nicht wahr.“ Lisa weicht einen Schritt zurück. Aber Linus packt ihre Pfote.

„Doch! Und immer Frauen und Kinder zuerst. Das ist ein altes Gesetz der Seefahrer. Sie fangen mit den kleinen Mädchen an. Weil die ja Frauen und Kinder zugleich sind.“

„Das ist doch nicht wahr, oder?“ Lisa schaut sich sicherheitshalber um, ob die Besatzung tatsächlich die Fahrgäste zur Reling treibt. Die Männer in den roten WDR-Jacken bleiben aber ganz ruhig. Sie scheinen noch Zeit zu haben.

Anna mustert Linus von der Seite. Er treibt es wieder zu arg mit der kleinen Bärin. Marie hat zum Glück nicht zugehört. Bevor Anna dazwischen gehen kann, hat die Fähre wieder Fahrt aufgenommen. Diesmal kommt sie bis zum Anleger. Die sechs Bären sammeln ihre sieben Sachen zusammen und streben zum Ausgang.

Bevor sie von Bord gehen, deutet Howard zum Anleger. Dort stehen die beigefarbenen Autos mit den gelben Schildern auf dem Dach.

„Guck mal, Linus, da warten die Kurtaxen.“

„Howard!“